11

Wie wir mit der Erb·krankheit unserer Töchter umgehen und Pflege·mittel einfordern

Eine 3-köpfige Familie steht im Park hinter grünen Blättern. Im Hintergrund ist unscharf ein großes Gebäude zu sehen. In der Mitte sitzt die Tochter im Rollstuhl. Eine junge Frau in Jeansjacke. Ihre Zunge ist zwischen ihren Lippen zu sehen. Links steht die Mutter mit rotem Kopftuch. Sie trägt einen langen oliv-grünen Mantel. Rechts steht der Vater in einem Blau-Weiß-karierten Hemd. Beide berühren den Rollstuhl. Sie lächeln.

Esengül und Mustafa Caliskan haben 5 Kinder. Sie sprechen mit uns über ihre 3 Töchter. Die heißen Ayse, Meryem und Beyza. Alle drei haben eine sehr seltene Erb·krankheit. Das hat sich erst nach der Geburt herausgestellt. Die Erb·krankheit heißt abgekürzt NBIA. Früher sagte man dazu: Hallervorden-Spatz-Syndrom. Die Eltern erzählen uns von den Herausforderungen. Und sie berichten, wo sie Unterstützung bekommen haben.


Esengül Caliskan, 51 Jahre
Mustafa Caliskan, 55 Jahre
Tochter Beyza, 18 Jahre

Esengül, wie hast du von der Behinderung deiner Töchter erfahren?

Mit 19 Jahren wurde ich zum ersten Mal Mutter.

Meine älteste Tochter ist Ayse.

Zunächst wurde keine Be­hinderung festgestellt.

Meine Familie sprach mich allerdings an.

Alle meinten, dass Ayse sich auffällig verhält.

Ich machte mir Sorgen.

Ich wollte meine Tochter untersuchen lassen.

Aber erst nach 4 Monaten war unser Kinderarzt dazu bereit.

Er schrieb eine Überweisung an einen Neurologen.

Das ist ein Facharzt für Erkrankungen der Nerven.

Der machte mit Ayse viele Tests und Untersuchungen.

Die Ergebnisse hat er uns aber nicht gesagt.

Wann habt ihr von der Erb·krankheit erfahren?

Da war Ayse 5 Jahre alt und meine Tochter Meryem 2 Jahre.

Und ich war gerade mit meinem ersten Sohn schwanger.

Man sagte uns, Ayse und Meryem haben eine Behinderung.

Mein Mann und ich brachen zusammen.

Die Behinderung tritt vor allem bei Mädchen auf.

Wir hofften, dass unsere jüngste Tochter Beyza gesund ist.


Wir ließen bei ihr einen Gen·test machen.

Und dann bekamen wir dieselbe Diagnose!

Das war für uns der nächste große Schock.

Wir hatten doch noch nicht die Behinderung unserer beiden älteren Töchter verstanden.

Wir wussten nicht, wie wir mit der Situation umgehen sollten.

Wir waren fast selbst noch Kinder und unerfahren.

Wer konnte uns unterstützen?

Wir kannten auch niemanden, der in einer ähnlichen Situation war.

Am Anfang hatten wir große Schwierigkeiten.

2 Jahre ging ich zu einer Psycho·therapeutin.

Die Therapie und mein Glaube haben mir geholfen.

Dann habe ich die Behinderung unserer Töchter annehmen können.

Die Eltern beugen sich beide von links zu ihrer Tochter. Die Tochter lacht. Ihre Zunge ist weit rausgestreckt. Ihre Mutter hat ihre Hand auf dem Oberkörper der Tochter. Der Vater hat seinen Arm um die Schulter seiner Frau.
Esengül und Mustafa Caliskan: Unser Wissen und unser Glaube geben uns bis heute Hoffnung. Sie geben uns die Kraft, zu kämpfen. Je mehr wir Bescheid wissen, desto mehr können wir für unsere Rechte einstehen.

Und wie ging es weiter?

Unserer ältesten Tochter Ayse ging es schlechter.

Ihr Zustand verschlimmerte sich.

Sie musste häufiger ins Krankenhaus.

Ihre Verspannungen wegen der Spastik wurden immer stärker.

Ihr Kopf schlug extrem nach hinten.

Egal welche Medika­mente sie bekam: Nichts half.

Sie lag 5 Jahre im Krankenhaus.

Sie hat viel durch­­machen müssen.

Dann kam sie in eine Pflege·einrichtung.

Dort wurde sie intensiv betreut.

Mit 19 Jahren ist sie gestorben.

Auch Meryem starb bereits sehr früh.

Sie wurde nur 10 Jahre alt.


Bei den beiden wussten wir nur wenig über die Behinderung.

Wir haben damals alles gemacht, was uns die Ärzte sagten.

Bei unserer jüngsten Tochter Beyza bestimmen wir mit.

Wir beobachten sie immer genau.

Dann entscheiden wir, wann sie Medikamente braucht.

Der Verlauf ist bei ihr viel langsamer.

Die Behinderung unserer Töchter ist sehr selten.

Es gibt kaum Studien dazu.

Was hat euch unterstützt?

In den Krankenhäusern und Arztpraxen haben wir nichts erfahren.

Zufällig hörten wir von einer Beratungs·stelle.

Das war vor ein paar Jahren.

Dort erhielten wir viele Informationen.

Zum einen in den Beratungen.

Zum anderen durch den Austausch mit anderen Eltern.

Zum Beispiel erfuhren wir, dass wir Anspruch auf Pflegegeld haben.

Wir hörten von einem bestimmten Rollstuhl.

Ein Rollstuhl, der für unsere Tochter passt.

Die Beratungs·stelle hat uns auch bei dem Schulplatz unterstützt.

Wir fanden für Beyza eine inklusive Grundschule.

Das bedeutet: Sie ging auf eine normale Regelschule und bekam besondere Unterstützung.

Später schickten wir sie auf eine Schule mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung.

Da ist sie jetzt noch.

Und es gefällt ihr dort sehr gut.

Das zu sehen, macht uns glücklich.

Was bedeutet pflege·bedürftig?

Wer länger als 6 Monate Unterstützung im täglichen Leben braucht, gilt als pflege·bedürftig.

Manche Menschen brauchen nur wenig Hilfe im Alltag.

Zum Beispiel nur im Haushalt oder beim Einkaufen.

Andere benötigen rund um die Uhr Hilfe und Betreuung.


Welche Unterstützungs·angebote gibt es?

Pflege·leistungen müssen bei der Pflege·versicherung beantragt werden.

Die Versicherung prüft dann, wie viel Unterstützung die Person im Alltag braucht.

Daraus ergibt sich der Pflegegrad.

Der Pflegegrad bestimmt, wie viel Pflegegeld der Person zusteht.

Es gibt 5 Pflegegrade.

Mit Pflegegrad 1 gibt es kein Pflegegeld.

Aber damit gibt es bereits verschiedene andere Leistungen.

Mit Pflegegrad 5 gibt es das meiste Pflegegeld.


Manche Menschen haben keine Pflege·versicherung.

Sie können über das Sozialamt Pflegegeld erhalten.

Anders ist es für asyl·suchende und geduldete Menschen.

Sie können frühestens nach 36 Monaten Pflegegeld erhalten.

Hier finden Sie weitere Informationen

Beim Pflege·stützpunkt können Sie sich kostenlos beraten lassen.

Sie erfahren zum Beispiel, welche Hilfen es für Pflege·bedürftige gibt.

Und wie Sie Leistungen beantragen können.

Pflege­·stützpunkte in Ihrer Nähe finden Sie unter: zqp.de