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Wie ich gelernt habe, die Behinderung meiner Tochter anzunehmen und meine Tochter zu pflegen

Zwei Frauen vor grünen Pflanzen im Park. Vorne sitzt eine junge Frau im Rollstuhl und lacht. Sie trägt einen orangefarbenen Pullover und Jeans. Dahinter steht herabgebeugt ihre Mutter und lächelt.

Aynur Türkel hat 2 Töchter. Ihre älteste Tochter heißt Berna. Berna hat eine Behinderung. Aynur erzählt uns ihre Geschichte.


Aynur Türkel, 51 Jahre
Tochter Berna, 25 Jahre

Aynur, wie hast du von Bernas Behinderung erfahren?

Meine Schwangerschaft war ganz normal.

Auch nach der Geburt war für mich alles gut.

Dann war Berna ein paar Monate alt.

Plötzlich sah ich sie leicht zucken.

Ich ging sofort mit ihr zum Arzt.

Der schickte mich mit Berna in ein Krankenhaus.

Im Krankenhaus gab es viele Untersuchungen.

Vor allem wurde Bernas Kopf untersucht.

Ich war ganz verunsichert.

Erst sagte ich mir: Es ist nichts!

Dann kam wieder der Gedanke: Und wenn doch?

Diese Ungewissheit war schrecklich.

Wie ging es dir, als das Ergebnis da war?

Man sagte mir: Ihre Tochter hat eine Behinderung.

Ich stand unter Schock.

Aber nun wusste ich endlich Bescheid.

Das war gleichzeitig eine Entlastung.

Ich habe meine Gefühle zugelassen.

Ich habe auch sehr viel geweint.

Das hat mir schließlich geholfen.

Wie hast du die Behinderung deiner Tochter annehmen können?

Zunächst musste ich viel lernen.

Es war eine völlig neue und unerwartete Situation.

In der Zeit habe ich eine Geschichte gelesen.

Die hat mir sehr geholfen.

Sie heißt: Willkommen in Holland.

Geschrieben hat die Geschichte Emily Perl Kingley.

Sie selbst hat ein Kind mit Trisomie 21 bekommen.

Die Geschichte geht ungefähr so:

Ich wollte eine Reise nach Italien machen.

Die Vorfreude war riesig.

Ich packte meinen Koffer und dachte:

Das wird so schön!

Dann saß ich im Flugzeug.

Der Pilot flog aber gar nicht nach Italien.

Wir landeten stattdessen in Holland.

Ich hatte völlig falsche Sachen eingepackt.

Auch die Sprache konnte ich nicht.

Ich war so enttäuscht!

Nun musste ich lernen, mich zurechtzufinden.

Nur langsam wurde es besser.

Aber mit der Zeit habe ich die Sprache verstanden.

Ich habe neue Menschen kennengelernt.

Und dann habe ich festgestellt:

In Holland ist es auch sehr schön.

Man kann da ganz viel machen.

Es stimmte gar nicht,

was ich bis dahin von dem Land gedacht hatte.

Diese Geschichte beschreibt meine Situation sehr gut.

Genauso unvorbereitet hatte ich mich gefühlt.

Genauso unsicher war unser Anfang.

Durch meine Tochter habe ich viele Dinge entdeckt.

Die hatte ich vorher nie gesehen.

Denn sie hatten nicht zu meinem Alltag gehört.

Oder sie waren für mich selbstverständlich.

Mit den Jahren habe ich mein Leben angenommen.

Das ist jetzt meins.

So sieht unser Weg aus.

Ich habe Bernas Behinderung angenommen.

Das gab uns beiden sehr viel Kraft.

Gemeinsam haben wir viel geschafft.

Wir haben nie aufgegeben.

Jetzt ist Berna 25 Jahre alt.

Ich bin sehr stolz auf uns.

Viele Menschen denken: Ein Kind mit Behinderung nimmt dir etwas weg.

Ich finde: Im Gegenteil!

Berna macht mein Leben reicher.

Die junge Frau im Rollstuhl streicht ihrer Mutter durchs Gesicht. Die Mutter sitzt auf einem Geländer und lacht ihre Tochter an.
Aynur Türkel: Durch meine Tochter habe ich viele Dinge entdeckt. Die hatte ich vorher nie gesehen. Denn sie hatten nicht zu meinem Alltag gehört. Oder sie waren für mich selbstverständlich. Mit den Jahren habe ich mein Leben angenommen. Das ist jetzt meins.

Du pflegst Berna zu Hause. Hast du Unterstützung?

Zum Teil.

Von Fach·pflegekräften habe ich viele Tipps und Tricks bekommen.

Außerdem habe ich anfangs Pflege·einrichtungen besucht.

Da habe ich mir viel abgeguckt.

Das alles hat mir sehr geholfen.

Aber ich fühle eigentlich selbst, was Berna braucht.

Ich weiß, was richtig für sie ist.

Deshalb möchte ich sie bei mir behalten.

Aber für kurze Zeit kann ich Berna in eine Pflege·einrichtung geben.

Dann, wenn ich einmal Zeit für mich brauche.

Zum Beispiel bin ich vor Jahren mit anderen Frauen in den Urlaub gefahren.

Und so war Berna in der Zeit betreut.

Das war sehr ungewohnt für mich.

Aber ich bin froh, dass ich es gemacht habe.

Für solche Situationen gibt es Unterstützung.

Man sagt dazu: Verhinderungs·pflege.

Wenn ich als Pflegerin ausfalle,

übernimmt eine Einrichtung für diese Zeit die Pflege.

Ich kann das allen sehr empfehlen.

Was wünscht du dir für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass alle Menschen überall dabei sein können.

Alle sollen sich gegenseitig akzeptieren.

Genauso, wie sie sind.

Oft höre ich: Du musst dies! Du musst das!

Aber für ein gutes Zusammen·leben müssen alle etwas ändern.

Nicht nur die Familien, sondern alle in der Gesellschaft.

Dann können Menschen mit und ohne Behinderung überall mitmachen.

Was bedeutet Verhinderungs·pflege?

Oft pflegen Eltern und Angehörige ihr Kind mit Behinderung.

Aber was ist, wenn sie mal krank werden?

Wenn sie in Urlaub fahren wollen oder eine Auszeit brauchen?

Dann braucht das Kind eine Ersatz·pflege.

Die kostet natürlich Geld.

Das übernimmt die Pflege·versicherung.

Diese Leistung heißt: Verhinderungs·pflege.


Es gibt 2 Möglichkeiten:


Eine Verhinderungs·pflege gibt es für jedes Kalender·jahr.

Sie übernimmt die Kosten für höchstens 6 Wochen.

Bekommen Menschen Pflege·geld,

wird während der Verhinderungs·pflege die Hälfte vom Pflege·geld abgezogen.

Verhinderungs·pflege muss nicht tagelang oder für Wochen sein.

Sie kann auch nur für Stunden genutzt werden.


Die Verhinderungs·pflege gibt es nicht nur für Kinder und Jugendliche.

Sie ist für alle Menschen in jedem Alter.

Für alle, die zu Hause von Angehörigen gepflegt werden.

Hier finden Sie weitere Informationen

Für die Verhinderungs·pflege müssen Sie einen Antrag stellen.

Aber wie geht das?

Dabei helfen Ihnen Pflege·stütz·punkte.

Auch Beratungs·stellen können weiterhelfen.

Dort erfahren Sie auch,

welche Einrichtungen in Ihrer Nähe Verhinderungs·pflege anbieten.

Hier finden Sie Pflege·stützpunkte in Ihrer Nähe: zqp.de

Und hier finden Sie mehr Informationen zum Thema Pflege.